Hier finden Sie exemplarisch ergänzende Gedanken zu verschiedenen Themen der Pädagogik.
- (Schul)Politik
- Meinungsgeschrei
- Bildungsforscher versus Praktiker?
(Schul)Politik
In Deutschland ist Schulpolitik Ländersache, d.h. mit Schulpolitik kann man Landeswahlen gewinnen. In einer Oppositionspolitik heisst das, was die einen gut finden, müssen die andern negieren. So geschehen mit den Gemeinschaftsschulen, die die Grünen und die SPD nach dem Regierungswechsel begründeten. Viele dieser Schulen sind sehr erfolgreich, z.B. die Alemannenschule in der Landgemeinde Wutöschingen. Aus Deutschland selber, aus der Schweiz ja sogar aus aussereuropäischen Ländern pilgern Interessierte in die Schule. Nach den letzten Landtagswahlen wurde die SPD abgewählt und die Grünen koalieren nun mit der CDU. Unglücklicherweise ist nun das Kultusministerium wieder in CDU Hand, was für die Gemeinschaftsschulen bedeutet, dass sie in einem Zustand der kultusministeriellen Duldung sind. Gerne würde man zur „bewährten Dreigliedrigkeit“ zurück kehren, was aber – nicht zuletzt auch aufgrund der vielen erfolgreichen GMS – nicht mehr möglich ist. Ich selber habe seinerzeit, als das Kultusministerium noch in SPD/Grünen-Hand war, die Ministerin und die Ministerialdirektorin in der Umsetzung der GMS unterstützt. Für die Starterschulen haben wir einen Teil der Ausbildung vom Lehrer zum Lernbegleiter durchgeführt.
Nachdem der Erfolg der GMS nicht mehr zu leugnen war, verbreiteten CDU-nahe Kreise die Lüge, dass an einem der von mir gegründeten Gymnasien 40% eines Jahrganges die Matura nicht geschafft hätten. Ein gewisser Professor Matthias Burchardt verbreitete in der FAZ diese Unwahrheit sowie seine professorale Meinung, dass halt eben autonomes Lernen nicht funktionieren könne. Auf die Einladung, statt nur aus der Theorie zu schreiben, eine Schule vor Ort anzusehen, ist er nie eingetreten. Stattdessen sprang er auf den fahrenden Zug der politisch motivierten GMS-Ablehnung auf und hielt Vorträge über das „illusorische Konzept“ des autonomen Lernens. Als dann die erste Schule – die privat geführte Freie Schule Anne-Sophie – ihre Abiturprüfung durchführte und über dem Landesdurchschnitt lag, verstummte Burchardt.
Dann aber schrieb die FAZ, eine unter Verschluss gehaltene Studie des Kultusministeriums stelle der GMS ein vernichtendes Zeugnis aus, was den damaligen Kultusminister zwang, folgende Richtigstellung zu veröffentlichen:
Hierzu stelle ich fest:
Das Kultusministerium hält kein Gutachten über die Gemeinschaftsschule unter Verschluss. Ein solches Gutachten liegt dem Ministerium auch nicht vor.
Stuttgart, den 9. September 2015
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, vertreten durch den Minister Andreas Stoch.
Es ist eine enorme Ressourcenverschleuderung, die keinem Kinde nützt sondern der Institution schwer schadet. Statt einfach hinzugehen und sich eine funktionierende GMS vor Ort anzusehen, schlagen sich Befürworter und Kritiker die Köpfe ein.
Dabei ist es so wie überall: Es gibt gute und weniger gute GMS. Die gibt es aber auch bei den Realschulen und den Gymnasien. Was aber die gute GMS ermöglicht ist das längere gemeinsame Lernen. Für einen Schweizer ist es unvorstellbar, dass man Kinder nach der vierten Klasse zuteilt zum Gymnasium oder zur Realschule oder zur Hauptschule. Als ich interimistisch eine Grundschule in Baden-Württemberg leitete fand ich im Korridor ein weinendes Mädchen. Es klagte, dass sie nur Hauptschulempfehlung habe. Mein Trost ging ins Leere mit ihrer Aussage: „Meine Schwester hat gesagt, wenn ich nur Hauptschulempfehlung habe, könne ich mich gleich umbringen.“ Allein, dass es solche Meinungen gibt – und da gibt es viele ähnliche – ist Grund genug, die GMS zu fördern und dem längeren gemeinsamen Lernen den Weg zu bereiten.
Meinungsgeschrei
In meinem oft gehaltenen Vortrag „Lernen neu denken“ habe ich meine ZuhörerInnen zu einer Denkreise eingeladen. Das Denken auf dieser Reise soll im sokratischen Sinne den stillen Dialog zwischen mir und mir selbst anregen. Da freut es mich immer, wenn andere von ihren Dialogen berichten. Diese Dialoge sind Lernanlässe, die das Gefäss der Reifung füllen. Ärgerlich, ja oft sogar denkhemmend ist es, wenn politisch motiviertes Meinungsgeschrei Denken und Dialog piratiert. Man müsste Gegenschreien, was mir auch schon gelungen ist, mich aber im Nachhinein auch beschämte. Rechtfertigen blockiert den inneren Dialog.
Bildungsforscher versus Praktiker?
John Hattie hat die Merkmale lernwirksamen Unterrichts erforscht und dazu 750 Metaanalysen, 50 000 Einzelstudien und 200 Millionen Schüler zurate gezogen. Das hat er umsichtig und sorgfältig gemacht und herausgefunden, wie sein Kollege Franz Liposwki Professor an der Universität Kassel, in seiner Interpretation der Hattie-Studie formulierte: „Vieles von dem, was nach Hattie guten Unterricht auszeichnet, lässt sich gut verbinden mit der Forderung nach einem kompetenzorientierten Unterricht und mit Forderungen nach individueller Förderung.“
„Peter Fratton hat über 30 Jahre lang das Konzept des kompetenzorientierten autonomen Lernens in Abhängigkeit zur angemessen gestalteten Umgebung praktiziert und dabei ca. 18 000 Inputs (Lektionen) gehalten, ca. 22 000 Stunden im Lernatelier begleitet und ca. 15 000 persönliche Gespräche mit mehr als 3000 Lernpartnern (Schülern) geführt. Er hat über 10 Häuser des Lernens gegründet und über 80 Schulen kürzer oder länger begleitet. Er hat nie eine Gemeinschaftsschule geführt, aber Mitglieder des Kultusministeriums haben nach einer Vielzahl von Besuchen, den Ansatz als eine Hilfe in der Umsetzung der GMS gesehen. Er misst der Praxis, vorab den Gesprächen mit seinen Lernenden, den grösseren Handlungswert zu als der pädagogischen Wissenschaft und der Bildungsforschung, freut sich aber, wenn letztere zum gleichen Ergebnis kommen wie die Praxis.“ (Vorstellung durch Reinhard Kahl an der Körberstiftung Hamburg)
Reinhard Kahl (Treibhäuser der Zukunft) meint: „Die Praxis ist die Königin, an deren Hof die Theorie und auch die Beobachter bevorzugte Plätze haben.“